Vom Anspruch zum Tatsächlichen

Auch nach nahezu zwei Jahren Pandemie ist die Lage in unserem Land mehr als angespannt. Die Maßnahmen der letzten Wochen und Monate – allen voran das Impfen – haben bislang nicht die erhoffte Wirkmacht entfalten können. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ein knappes Drittel unserer Gesellschaft sich bisher nicht dazu entscheiden konnte, sich impfen zu lassen.

Wenn auch die Gründe dafür vielfältig sein mögen, stellen wir in unserer politischen Arbeit vor Ort zunehmend fest, dass mehr und mehr unserer Mitbürger*innen sich Sorgen um die Gesellschaft als solche und unseren Staat machen. Sie fürchten eine sich vertiefende Spaltung besonders durch eine – allgemeine oder spezielle – Impfpflicht und beargwöhnen die staatlichen Beschränkungen der Freiheiten der Einzelnen. 

Wir geben uns größte Mühe, bei diesen Menschen um Verständnis für die notwendigen Maßnahmen zu werben, indem wir uns um sachliche Erklärungen bemühen. Wir politischen Parteien mitsamt unseren Mandatsträger*innen müssen aber auch selbstkritisch feststellen, dass wir gerade was die Impfpflicht – aber auch die Pandemiebekämpfung insgesamt – angeht, die Bürger*innen nicht richtig mitgenommen haben. Über weite Teile fehlte uns die Sprache, um in ein Gespräch miteinander zu kommen. Bloße Erklärungen genügen ab einem gewissen Punkt nicht mehr. Und dieser Punkt ist angesichts der teilweisen Radikalisierung der Maßnahmengegner*innen nach unserem Dafürhalten erreicht.

Was wir für unsere politische Arbeit nicht akzeptieren wollen und unseres Erachtens aus der Verantwortung als Partei nicht dürfen, ist indes, mit Menschen, die die Maßnahmen aus sachlich falschen oder irrationalen Gründen ablehnen, nicht mehr zu sprechen. Wir dürfen uns nicht verleiten lassen, diese Teile der Gesellschaft aufzugeben. Gleichzeitig sind unsere Ressourcen und unsere Autorität als Kreisverband begrenzt.

Der Kreisvorstand hat daher die Landesregierung vor Weihnachten 2021 gebeten, die Politik des Gehörtwerdens, die sie über die letzten zehn Jahre in unserem Land etabliert hat, in einem Moment größter gesellschaftlicher Not konsequent zu vertreten. Die Beteiligung der Bürger*innen in dialogischen Formaten könnte uns allen helfen, diesen Menschen wieder das Gefühl zu geben, Teil der Gesellschaft zu sein und auch ihre Ängste und Ablehnung artikulieren zu dürfen. Die Pandemie ist eine akute Herausforderung und polarisiert mehr als jedes Infrakstrukturvorhaben.

Wir haben den Ministerpräsidenten aufgerufen, die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung mit der Durchführung von angemessen großen Bürgerforen – bspw. eines in jedem Regierungsbezirk – zu beauftragen und so ein Zeichen für den Dialog und das Miteinander in Baden-Württemberg zu setzen.

Wir sind uns des hierfür notwendigen organisatorischen Aufwands in der knapp bemessenen Zeit bewusst. Doch wann, wenn nicht jetzt, lohnt sich ein solcher Kraftakt.

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